Wir freuen uns, mit einer von John Colton und Sabine Drwenzki neu kuratierten Ausstellung der Berliner Malerpoeten zu der großartigen Ausstellung “Die Erfindung Kreuzbergs – Zeit der Bohème in den 1960er und 1970er Jahren” einen Beitrag zu leisten. Martin Düspohl und Ulrike Tretziak haben sie kuratiert, Veranstalter des von der Lottostiftung geförderten Projektes ist die Kurt und Hannelore Mühlenhauptstiftung.
Als zeitliche Eckpunkte dieser ersten originären Berliner Kunst- und Kulturbewegung der Nachkriegszeit (Eberhard Roters, Gründer der Berlinischen Galerie) können die Geburt der Galerie zinke in der Oranienstraße durch die Freunde Robert Wolfgang Schnell, Günter Bruno Fuchs und Günter Anlauf im Jahr 1959 und die Gründung der Berliner Malerpoeten durch Aldona Gustas im Jahr 1972 gelten.
In den späten 50er und 60er Jahren ist Aldona Gustas mit den Gründern der Galerie zinke in der Kreuzberger Oranienstraße, Günter Bruno Fuchs und Robert Wolfgang Schnell und auch mit Günter Grass eng befreundet. Diese Kontakte und ihr eigenes Interesse, Literatur und Malerei zu verbinden, führen sie 1972 zu Gründung der „Berliner Malerpoeten“. Der einzigartigen Gruppe gehörten 14 malende Schriftsteller*innen und schreibende Maler*innen an, berühmte und außerhalb Berlins kaum bekannte: Günter Bruno Fuchs (1928–1977), Günter Grass (1927–2015), Aldona Gustas (* 1932), Roger Loewig (1930–1997), Artur Märchen (1932–2002), Christoph Meckel (1935–2020), Kurt Mühlenhaupt (1921–2006), Karl Oppermann (* 1930), Oskar Pastior (1927–2006), Robert Wolfgang Schnell (1916–1986), Wolfdietrich Schnurre (1920–1989), Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892–1982), Joachim Uhlmann (1925–2020), Hans-Joachim Zeidler (1935–2010).
Die Berliner Malerpoeten sind zweifellos eine Blüte West-Berliner Kultur der Nachkriegszeit und verdanken sich, so Gustas, „dem damaligen Inseldasein West-Berlins“. Auch Karl Krolow sah 1974 im „Stadtwesen Berlins“ ein verbindendes Element in den Arbeiten der Künstler. Sie seien optisch oder verbal, „Berliner Notationen“. Farblich einigte sich die Gruppe auf das naheliegende Schwarz-Weiß der Drucktechnik als dominierendes Element – Ausnahmen gestattet.
Ein Schema für das Zusammenspiel von Bild und Wort im Werk der einzelnen Künstler*innen gibt es allerdings nicht. „Je nach Sujet, Hintergrund, Talent und Temperament der Persönlichkeiten fand diese Doppelbegabung ganz unterschiedliche Ausprägungen, häufig mit einer gehörigen Portion Ironie: ‚Freitags male ich immer Fisch‘, so Hans-Joachim Zeidler.“ (Karl Krolow 1974)
Bei allen Späßen, die sich die West-Berliner Künstler*innen in ihren Werken erlaubten und die sie miteinander und mit einem sympathisierenden Umfeld hatten, teilten sie doch mit vielen Menschen ihrer Generation die Grundwahrnehmung einer existenziellen Krise des Humanismus in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihre Biographien, künstlerisches Schaffen und Sujets sind spürbar geprägt von den nahen Erfahrungen des Krieges und den menschen-und kulturzerstörenden Verbrechen des Nationalsozialismus.
Aldona Gustas, die einzige Frau in der Gruppe, war nicht nur „Mutter“ sondern auch Kopf, Kuratorin und Managerin der Gruppe. Sie organisierte Ausstellungen in Brüssel, Caracas, Medellin, Buenos Aires, Rom, Nancy, Straßburg, Bordeaux u.a. Außerdem gab sie mehrere Anthologien der Berliner Malerpoeten heraus.
Mit ihrem Engagement für die interdisziplinär und überwiegend figürlich arbeitende Gruppe eckte Aldona Gustas beim etablierten Literatur-und Kunstbetrieb der damaligen Zeit an. Auch der Berliner Senat bot den Malerpoeten in Berlin selbst nie eine große Bühne, aber er unterstützte einen Teil der Ausstellungen im Ausland, die ansonsten vom Goethe-Institut gefördert wurden.
Aldona und Friedrich Schröder-Sonnenstern singen zusammen Dietmar Bührer , Aldona Gustas, Browse Gallery, Foto: Chris Frey
Ab 2014 organisierte die Browse Gallery in Zusammenarbeit mit Aldona Gustas umfangreiche Ausstellungen der Berliner Malerpoeten in Berlin, Wiesbaden und Leipzig: Oxymora – zusammen mit zeitgenössischen litauischen Textildesignerinnen, anlässlich der Buchmesse mit dem Litauen-Scherpunkt 2017.
Aldona Gustas ist es zu verdanken, dass Kunst und Kultur von Künstlern der Kreuzberger Bohème auch nach den 60er und 70er Jahren sichtbar blieb und durch zahlreiche Ausstellungen im Ausland bekannt wurde wurde. Klar lokal verankert, reicht die Bedeutung der Berliner Malerpoeten über den Kiez doch weit hinaus.
In der Malerpoeten Ausstellung im Rahmen der Erfindung Kreuzbergs ist das gut zu sehen. Neben exemplarischen Werken der Malerpoeten, den wunderbaren Fotoporträts von Dietmar Bührer, Anthologien und Büchern der Malerpoeten, zeigen Originaldokumente Stationen der Kindheit und Jugend von Aldona Gustas und ihrer Familie, vor, während und nach dem 2. Weltkrieg, von Litauen nach West-Berlin.