Der Fotograf Wolfgang Krolow starb im September 2019 in Berlin Kreuzberg. Die Browse Gallery schätzt und liebt seine Fotokunst, hat diese in diversen Ausstellungen gezeigt. Wolfgang war unser Nachbar und ein aktives Mitglied der Community rund um den Chamisso-Kiez. Er fehlt. Seinem Blick begegnen wir weiterhin in seinen wunderbaren Fotografien, die uns die Augen öffnen.
Der Kulturhistoriker Rolf Hosfeld hat anlässlich der Beerdigung seines Freundes Wolfgang Krolow eine Grabrede gehalten, in der der Mensch und der Künstler eine würdevolle Wertschätzung erfahren. In leicht gekürzter Form ist die Rede jetzt dankenswert auch von der taz vom 23.11.19 veröffentlicht worden, nachlesen lohnt sich.
Bereits früher hat Hosfeld die Arbeit von Wolfgang Krolow treffend so eingeordnet: “Seine Fotografien sind Kunstwerke, die wie alle gute Kunst mit Synästhesien spielen, verborgene Strukturen sichtbar machen, Geschichten erzählen, Psychologien offenlegen.” Das trifft auf seine Porträts von Kindern und Alten, Punks und (später) prominenten Künstler*innen wie Heiner Müller, Gisèle Freund oder Chet Baker ebenso zu wie auf seine poetischen Mauerbilder und kontrastreichen Straßenlanschaften.
Parkende Autos zur Mittagszeit auf der Heimstraße in Kreuzberg, Foto © Wolfgang Krolow
Er schuf einige der schönsten und pointiertesten Porträts des urbanen (Zusammen-)Lebens der Menschen in Kreuzberg und der rebellischen Kultur West-Berlins in den späten 70er und 80er Jahren. Fotoreisen führten ihn auch an seltener fotografierte, entlegene Länder und Orte. Hauptbezugspunkt seines Werks blieb jedoch stets seine Wahlheimat Kreuzberg. Sein fotografisches Werk und seine Bücher wurden von Kollegen – auch von prominenten – wie Jim Rakte, Max Scheler (Magnum) und v.a. F.C. Grundlach – hochgeschätzt.
2010 zeigte die BROWSE GALLERY eine große Retrospektive mit 140 Fotografien von Wolfgang Krolow. Mehr als 3000 Besucher*innen konnten damals entdecken, was Hosfeld über die besondere Gabe seines Freundes einmal so beschrieb:„Es ist, als ob Wolfgang Krolow auch am helllichten Tag mit einem Nachtsichtgerät ausgestattet hinter den Fassaden sofort Dimensionen entdecken kann, die das bloße Auge nicht wahrnimmt.“
Boot in Kapelle, Friedhof Bergmannstr, Foto © Wolfgang Krolow
Heute sind wir aufgefordert, ohne Nachtsichtgerät dem Unsichtbaren, dem Verschwundenen auf die Spur zu kommen. Mit unseren bloßen Augen können wir den Menschen, Freund und Nachbarn Wolfgang Krolow nach seinem Tod am 24. September 2019 nicht mehr sehen – auf dem samstäglichen Markt am Chamissoplatz, im Buchladen auf der Bergmannstr. oder vor der Marheineke Markthalle beim Kaffetrinken ist er nie mehr anzutreffen. Das ist traurig und hinterlässt ein fahles Gefühl der Leere.
Finden können wir Wolfgang Krolow aber in in seinem fotografischen Werk. Wir begegnen in ihm seinem besonderen Blick auf die Welt und vor allem auf Berlin und Kreuzberg in den späten 70er bis 90er Jahren. Der lässt uns neu sehen und mehr verstehen. Uns selbst und Berlin.
Spielende Mädchen in Kreuzberg, Foto © Wolfgang Krolow
Bilder, in denen er offenlegt, was uns damals entging, was wir nicht sahen, fassen konnten, nur roh spürten, wenn wir durch die Straßen liefen. In Krolows Fotografien begegnen wir unserer und seiner Jugend: wilde Energie, traumhafte Begegnungen, Lebenslust, Melancholie, Exzesse und Experimente. Historisch und kulturräumlich verschränkt sich unser Aufbruch symbiotisch – Glück für uns und für die Stadt – mit stadträumlichen Besonderheiten West-Berlins in der Nachkriegszeit. Die lieferten ganz unfreiwillig der Freisetzung von Energie und Kreativität zur Erschaffung neuer Lebensformen ein weites offenes Feld – Freiräume in schrägen, historisch klaffenden urbanen Brachlandschaften.
Mauerstreifen vor der Thomaskirche in Kreuzberg, Foto © Wolfgang Krolow
“In einer rauschhaften Produktivität porträtiert er den Bezirk im Schwebezustand zwischen Abriss und behutsamer Stadtentwicklung. Ob türkische Frauen aus der ersten Generation der Immigranten, Kinder, deutsche Rentner, arabische Jugendliche, Punks – Krolow kommt in Kontakt mit allen und erhält Zutritt zu Moscheen, Koranschulen, Hausbesetzerwohnungen. Die Spannung zwischen den diversen Atmosphären wird für seine Arbeit wesentlich.” ( Edith Siepmann, Schwarzweiße Seiltänze, taz Berlin 29.7.2007)
In seinem Werk finden sich Bilder, Augenblicke und Ansichten, die wir damals selbst im Alltag nicht gesehen, deren Schönheit und Bedeutsamkeit wir nicht erkannten und heute in seinen Bildern so schätzen – die Anmut des selbstverständlichen Miteinanders Ball spielender Mädchen, blond die eine, mit Kopftuch die andere, die urbane Sinnlichkeit des mediterranen Wechselspiels von Licht und Schatten parkender Autos auf der Heimstraße zur Mittagszeit, die mitreißende Energie schräger Bewegungslinien fliehender Jungen vor den vertikalen Streben des spitzen Metallgitters im dunklen Rechteck eines Hoftors, direkt an der Berliner Mauer.
Fliehende, Foto © Wolfgang Krolow
Lebendige Bilder, die individuelles biographisches Erinnern ebenso inspirieren wie sie die Leerstellen anwachsender Amnesie im kollektiven kulturellen Gedächtnis der Stadt füllen können. Deshalb gehört der fotografische Nachlass von Wolfgang Krolow, so wie er es wollte, künftig auch unbedingt in ein Berliner Museum. Und auch deshalb hat die BROWSE GALLERY im Laufe der Jahre, in denen sie sich der Ausgrabung der Kreuzberger und West-Berliner Kunst- und Kulturgeschichte der Nachkriegszeit gewidmet hat, in diversen Projekten immer wieder Fotografien von Wolfgang Krolow integriert und in Einzel- und Gruppenausstellungen seine Bilder gezeigt.
Doch bei aller Treue zu seiner Stadt, geht das Œuvre seiner fotografischen Arbeit über Berlin und Kreuzberg hinaus, und Krowlow ist weit mehr als ein Kiezfotograf. Seine Schwarz-Weiss-Fotografien haben eine zeit- und ortsunabhängige Qualität. Von Joseph Roth stammt der Satz: „Ich zeichne das Gesicht der Zeit.“ Wolfgang Krolow macht das mit seiner Kamera, sagt Jörg Hafkemeyer bei der Eröffnung der Retrospektive 2010. Auch wenn Krolows Fotografien für die Stadt heute durchaus auch dokumentarischen Wert besitzen, liegt ihre Stärke weit mehr in ihrer Kraft zur Anregung poetischer Fantasie und Einfühlung in die Verletzlichkeit des Augenblicks unserer Existenz.
David Bowie am Chamissoplatz in den 80er Jahren, Foto © Wolfgang Krolow
“Für einen Augenmenschen wie ihn, der stets mehr und Verborgenes sehen konnte als viele andere, hatte die Welt immer etwas fast aus den Fugen geratenes an sich. Nichts ist, wie es scheint, und weniges schön, dafür aber sehr menschlich. Er begegnete dieser sensiblen Einsicht nie mit Verzweiflung, sondern immer mit sanfter, mitunter auch ironischer oder sarkastischer Melancholie, mit einem hohen Maß an Contenance und Witz und bis zuletzt mit einer ungeheuren Lebensbejahung und Tapferkeit.” (Rolf Hosfeld)
Mehr Hintergrundinformation und Bilder von Wolfgang Krolow auf unserer Seite Künstlerporträt im Shop und auf der Website von Wolfgang Krolow.