Berlin-Kreuzberg ist legendär für seine Subkultur. Dabei wird meist an die späten 70er und 80er Jahre gedacht. Punk- und Hausbesetzerszene, Ton Steine Scherben, David Bowie, Nina Hagen – die berühmte soziale und kulturelle Kreuzberger Mischung von Rentner/innen, Student/innen, Einwanderer/innen, und Wehrpflichtsflüchtlingen aus aus allen Teilen der BRD, Grüne, radikale Linke, Anarchie, autonome Projekte, poltische Läden, Medienkollektive, Experimentieren mit alternativen Strukturen und Lebensentwürfen, Drogen, Partys, Kneipen, die Verbindung von Politik, Kultur und Alltagsleben fern ab des Mainstreams.
Die Browse Gallery hat seit 2010 einen Schwerpunkt seiner Ausstellungsaktivitäten darauf gelegt, das künstlerische und kulturelle Erbe Kreuzbergs wach zu halten oder wieder in Erinnerung zu rufen, auch um in der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen und städtischen Problemen an die Kraft einer Tradition kreativer Subversion und und subkultureller Autonomie fruchtbare Anknüpfungspunkte bieten zu können.
Zu sehen waren in den ersten Jahren 2010-2013 demnach u.a. politische Karikaturen von Klaus Stuttmann (die erste Ausstellung) und der Berliner Titanic-Connection, Zeichnungen von Gerhard Seyfried, Fotografien von Wolfgang Krolow oder eine Jubiläumsausstellung “40 Jahre Keine Macht für Niemand” der Ton Steine Scherben. Im Laufe der Zeit haben wir in der Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte des Ortes in den 70er und 80er jahren dann festgestellt, dass die Wurzeln dieses “anderen Ortes”, Kreuzberg, historisch viel tiefer zurückreichen als gedacht.
Wir entdeckten, dass die Galerie zinke, Kurt Mühlenhaupt und seine Künstlerkneipe Leierkasten, die Malerpoeten Günter Bruno Fuchs, Aldona Gustas, Friedrich Schröder-Sonnenstern, die Rixdorfer Drucker und dutzende andere Künstler/innen und Schriftsteller/innen und ein schillerndes kulturelles Umfeld Ende der 50er Anfang der 60er Jahre eine Künstler – und Boheme-Szene bildeten, von der Eberhard Roters, Gründer und erster Leiter der Berlinischen Galerie, behauptete, sie sei Berlins erste unabhängige Künstlerbewegung der Nachkriegszeit gewesen.
Geprägt von den Traumata des Holocaust und des 2. Weltkrieges, ausgestattet mit einer großen Portion Verachtung für falsche Autoritäten und modische Trends, setzten sie den fesselnde Konventionen oder kultupolitische Instrumentalisierungen der Kunst im Kalten Krieg Poesie, Vielfalt und Freiheit der künstlerischen Ausdruckskraft entgegen.
Ihre antioautoritäte Rebellion richtete sich künstlerisch gegen den abstrakt tickenden Zeitgeist im etablierten westlichen Kunstbetrieb. Stoisch bestanden sie auf künstlerischer Unabhängigkeit und individueller Gestaltungsfreiheit, jenseits von allen engen kunstwissenschaftlichen Zuschreibungen oder Festlegung auf diese oder jene Kunstrichtung und kreative Disziplin. Sie verstanden sich als Maler und Poetinnen und kombinierten ihre Mherfachbegabungen wie sie wollten. Mit ihrer sinnlichen, ironischen und für manchen Bürgergeschmack respektlosen Verbindung von Kunst, Kultur, Kneipe und Alltagsleben in den Hinterhöfen und auf den Straßen Kreuzbergs, haben sie so einiges an subversiver Kunst- und Kulturpraxis vorweggenommen, für die Kreuzberg zm Inbegriff wurde und die bis heute einen wesentlichen Teil lokaler Identitätsbestimmung und internationaler Markenbildung Berlins insgesamt ausmacht.
In jeder Hinsicht ist diese vielfältige und fazinierende Künstler/innen- und Boheme-Szene der 50er bis Anfnag 70er Jahre zu Unrecht fast vergessen. Dem entgegenzusteuern war der Gedanke des Ausstellungszyklus “Inside OUT I – die Kreuzberger Boheme, 50er – frühe 70er Jahre“, der 2014-2015 mit mehr als 10 Ausstellungen in der Browse Gallery gezeigt und auch 2016 fortgeführt wurde.