50 Jahre Berliner Malerpoeten feiern wir vom 3. September bis 6. November 2022 weiter mit einer neuen Ausstellung – im Süden der Republik, im Museum für Erdgeschichte, Lithografie und Steingewinnung in Solnhofen – ansonsten weltberühmt für sein Fossil des Urvorgels Archaeopteryx.
Ohne Hans-Joachim Zeidler, einen der 14 Berliner Malerpoeten, wären wir wohl kaum im bayrischen Solnhofen gelandet und doch ist dies ein erstaunlich passender Ort für die 14 malenden Berliner Poet*innen und schreibenden Zeichner*innen. Das Museum Solnhofen im Altmühltal und die Berliner Malerpoeten des ehemaligen West-Berlins haben überraschende Überschneidungen und Affinitäten. Sie sind auf unterschiedliche Weise jeweils mit Natur, Geschichte, Vergänglichkeit und ihren Ablagerungen und Transformationen beschäftigt und beide teilen definitiv die Liebe zum Stein, zur Lithografie.
Das Geo-Zentrum Solnhofen liegt in der Nähe eines Steinbruchs für einen besonders feinen Kalkstein. Dieser ist nicht nur für den künstlerischen Steindruck bestens geeignet und entsprechend viel genutzt. Der feine Stein beherbergt auch, in einmaliger Detailgenauigkeit, Millionenjahre alte Fossilien von allerlei Lebewesen, die vor etwa 150 Millionen Jahren in einer tropischen Insel- und Lagunenlandschaft lebten, die sich von Solnhofen bis nach Regensburg erstreckte.
Weltberühmt ist der Ort für den Fossilienfund des Urvogels, Archaeopteryx, der vor 150 Millionen Jahren in Bayern lebte. Heute ist er im Museum Solnhofen als filigraner Steinabdruck neben hunderten anderen Fossilien sonderlicher urzeitlicher Fische, Muscheln, Saurier und Krokodile zu bewundern.
Memento mori – aber bitte Humor
Muscheln, Meer, allelei Strandgut und Fossilien, Fabeltiere und amorphe Kreaturen – eine Faszination mit teils grotesken Abbildungen von Vergänglichkeit beschäftigten auch Hans-Joachim Zeidler.
‚Freitags male ich immer Fisch‘, soll er gewitzelt haben (Karl Krolow 1974) – eine feine Portion Ironie, die er mit vielen Kollegen der Berliner Malerpoeten gemeinsam hatte.
Tote Biene, 1966, zweifarbige Lithographie von Hans-Joachim Zeidler (1935 – 2010)
Bei allen Späßen, die sich die Berliner Künstler*innen in ihren Werken erlaubten, teilten sie auch mit vielen Menschen ihrer Generation vor allem die Grundwahrnehmung einer existenziellen Krise des Humanismus in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihre Biographien, künstlerisches Schaffen und Sujets sind noch spürbar geprägt von den Erfahrungen des Krieges und den menschen-und kulturzerstörenden Verbrechen des Nationalsozialismus. Auseinandersetzungen mit der zerstörerischen Natur des Menschen, Metamorphosen und Übergänge zwischen belebter und toter Materie, Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier sind in vielen Arbeiten fast aller Mitglieder der Gruppe sichtbar.
Der Rückgriff auf Figuren der Tierwelt zur künstlerischen Darstellung der Situation des Menschen in einer zivilisatorisch in die Krise geratenen Welt, in der sich ungezähmte Wildheit und Triebe aber auch Tod, verwundete oder aber Zuflucht bietende Natur in Form von Tiergestalten oder Fabelwesen zeigen, findet sich in den Arbeiten vieler Künstler: den fantasievollen grafischen Figuren Günter Bruno Fuchs, den vollflächigen, prallen Fantasiegestalten eines Artur Märchen oder den mit Buntstiften fein ziselierten, dämonenhafter Zwitterwesen Friedrich Schröder-Sonnensterns – in leichterer poetischer Form auch in zahlreichen Zeichnungen von Aldona Gustas “Mundfrauen”, die sich frei und sinnlich an der einen oder anderen Körperrundung in Vögelköpfe oder Fischschänze transformieren. Auch im literarischen wie im bildnerischen Werk von Günter Grass wimmelt es von Fischen, Vögeln, Fröschen, Vogelscheuchen und Ratten, Katzen und Hunden. Hans-Joachim Zeidlers zeichnerisches Hauptsujet war die wissenschaftliche Dokumentation und künstlerische Transformation von Überbleibseln der Evolution, Vergänglichkeit belebter und unbelebter Natur und menschengemachte Zerstörungen – grotesk, anrührend, oft mit hintersinigem Humor .
Hans Joachim Zeidler
1935 in Berlin geboren, fing Zeidler bereits mit sechs Jahren an zu zeichnen. Mit vierzehn schrieb er ein erstes Theaterstück, mit sechzehn begann er Grafik zu studieren.
Als Kriegskind wurde Hans Joachim Zeidler von der Berliner Ruinenlandschaft geprägt. Als Zeidler 1955 im Berliner Haus am Lützowplatz seine erste Ausstellung machte, hatte er seinen bizarr-realistischen Stil bereits entdeckt. Er ging nach Tübingen, arbeitete ein Jahr lang als wissenschaftlicher Zeichner für die Prähistoriker und entwickelte aus Berliner Schrott, Tübinger Fossilien und den erstarrten Lavamassen des Stromboli eine eigene Formenwelt der Erosion und Vergänglichkeit.
Nicht überraschend, dass seine Arbeiten im Museum Solnhofen neben tausenden Fossilien eine Heimat weit außerhalb Berlins gefunden haben. 2004 spendete der Künstler der Gemeinde Solnhofen 138 Lithographien. Das Museum besitzt heute das komplette lithografische Lebenswerk Zeidlers,
Ausstellung in Solnhofen
Jetzt ist im Museum Solnhofen vom 3. September bis 6. November anlässlich des 50. Jubiläums der Gründung der Gruppe Berliner Malerpoeten durch Aldona Gustas, eine Ausstellung mit rund 30 Werken, Fotos und anderen Dokumenten zu sehen, die Zeidler im Kreis seiner 13 Kolleg*innen der Berliner Malerpoeten zeigt.
Das künstlerische Spektrum der Berliner Malerpoeten ist breit und vielschichtig. Dem dominierenden und pointierten Schwarz-Weiß zahlreicher Druckgrafiken und Tuschearbeiten von Künstlern wie Zeidler, Fuchs, Gustas oder Meckel steht eine leuchtende Farbigkeit von Aquarellen und Ölgemälden Kurt Mühlenhaupts, Robert Wolfgang Schnells oder Artur Märchens und der fantastisch differenzierten Buntstiftzeichnungen von Friedrich Schröder-Sonnenstern gegenüber. Nicht minder vielfältig sind die literarischen Vorlieben und Textsorten der Autor*innen: Romane, Novellen, Kurz- und Kindergeschichten, spontane Dichtkunst und komplexe experimentelle Lyrik.
Also, worauf wartet ihr noch, auf ins Altmühltal zur Ausstellung 50 Jahre Berliner Malerpoeten in Solnhofen und zur “globale Ikone der Evolutionsforschung” dem “berühmtesten Fossil der Erde, Archaeopteryx”. Der zeigt sich übrigens im wunderbar gestalteten Museum (offiziell: Bürgermeister-Müller-Museum Solnhofen) Besucher*innen nicht nur als Fossil. Als graziles Holgram schwebt er uns aus schwarzem Nichts entgegen – klein, scharf und irgendwie magisch.