Ausstellung: 50 Jahre Berliner Malerpoeten
produziert von Browse Gallery Berlin,
kuratiert von Jochen Fey,
präsentiert im Auktionshaus Nosbüsch & Stucke
Fasanenstr. 29, 10719 Berlin
8 Juli bis 5. August 2022
Mo – Fr, 10:00 – 18:00 Uhr
Vernissage 8. Juli, 18:00 Uhr
Berliner Malerpoeten – go West
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Gegend um die Fasanenstraße ein über die Stadt hinaus bekanntes Biotop für Kunst und Literatur in Berlin. Angesiedelt auf der Kulturmeile sind einige der profiliertesten Galerien der Stadt, internationale Kunsthandels- und Auktionshäuser, das Käthe-Kollwitz-Museum und das vitale Literaturhaus. Wie passend, dass rund 50 Arbeiten der Berliner Malerpoeten in der Ausstellung anlässlich ihrer Gründung vor 50 Jahren jetzt in diesem traditionsreichen Umfeld zu sehen sind.
Endlich, will man sagen, denn Berlin hat sich bisher kaum ein Bein ausgerissen, um der einmaligen Gruppierung der Berliner Malerpoeten den Stellenwert öffentlicher Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, den sie zweifellos verdient. Mit diversen Ausstellungen in Kreuzberg und außerhalb Berlins hat sich die Browse Gallery in den letzten Jahren darum bemüht, die Gruppierung Berliner Malerpoeten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit der Jubiläumsausstellung landen die West-Berliner Malerpoeten jetzt auch an einem prominenten und traditionsreichen Ort des ehemals West-Berliner Knstlebens, der Fasanenstraße.
v.l.n.re: Berliner Malerpoeten Karl Oppermann, Joachim Uhlmann, Hans-Joachim Zeidler, Aldona Gustas, Artur Märchen, Kurt Mühlenhaupt, Foto: Nickie Galliner
Mehr als ein Dutzend schreibende Maler und dichtende Zeichner versammelte die Poetin und Grafikerin Aldona Gustas ab 1972 unter dem Namen Berliner Malerpoeten um sich. Zur Gruppe gehörten neben Aldona Gustas 13 international gefeierte wie auch primär lokal geschätzte Künstler und Literaten: Günter Bruno Fuchs, Günter Grass, Roger Loewig, Artur Märchen, Christoph Meckel, Kurt Mühlenhaupt, Karl Oppermann, Oskar Pastior, Robert Wolfgang Schnell, Wolfdietrich Schnurre, Friedrich Schröder-Sonnenstern, Joachim Uhlmann, Hans-Joachim Zeidler.
Aldona Gustas, die einzige Frau, war Kopf, Kuratorin und Managerin der Gruppe. Sie organisierte in den 80er Jahren Ausstellungen in West-Europa und Süd-Amerika. Außerdem gab sie mehrere Anthologien der Berliner Malerpoeten heraus. 2014 kuratierte sie noch einmal eine Ausstellung für die Gruppe in der Browse Gallery in Kreuzberg. Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit mit der Browse Gallery war 2017 OXYMORA – eine gemeinsame Ausstellung der 14 Berliner Malerpoeten mit 7 zeitgenössischen litauischen Textilkünstlerinnen in der Leipziger Baumwollspinnerei.
Eine Blüte West-Berliner Kultur der Nachkriegszeit
Ein Schema für das Zusammenspiel von Bild und Wort im Werk der einzelnen Künstler*innen gibt es allerdings nicht. „Je nach Sujet, Hintergrund, Talent und Temperament der Persönlichkeiten fand diese Doppelbegabung künstlerisch ganz unterschiedliche Ausprägung, häufig mit einer gehörigen Portion Ironie: ‚Freitags male ich immer Fisch‘, so Hans-Joachim Zeidler.“ (Karl Krolow 1974).
Bei allen Späßen, die sich die Berliner Künstler*innen in ihren Werken erlaubten, teilten sie doch mit vielen Menschen ihrer Generation die Grundwahrnehmung einer existenziellen Krise des Humanismus in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihre Biographien, künstlerisches Schaffen und Sujets sind noch spürbar geprägt von den Erfahrungen des Krieges und den menschen-und kulturzerstörenden Verbrechen des Nationalsozialismus.
Das künstlerische Spektrum der Gruppe ist breit und vielschichtig. Dem dominierenden und pointierten Schwarz-Weiß zahlreicher Druckgrafiken und Tuschearbeiten von Künstlern wie Fuchs, Gustas, Meckel oder Zeidler steht eine leuchtende Farbigkeit von Aquarellen und Ölgemälden Kurt Mühlenhaupts, Robert Wolfgang Schnells oder Artur Märchens und der fantastisch differenzierten Buntstiftzeichnungen von Friedrich Schröder-Sonnenstern gegenüber. Nicht minder vielfältig sind die literarischen Vorlieben und Textsorten der Autor*innen: Romane, Novellen, Kurz- und Kindergeschichten, spontane Dichtkunst und komplexe experimentelle Lyrik.
Künstlerische Unabhängigkeit und Vielschichtigkeit
Mit ihrem Engagement für die interdisziplinäre und vielschichtige Gruppe eckte Aldona Gustas, West-Berliner Poetin mit litauischen Wurzeln, beim etablierten Literatur-und Kunstbetrieb der damaligen Zeit an. Und auch einige Kollegen der Malerpoeten nahmen für ihren künstlerischen Ausdruck Risiken in Kauf, die von der Fachwelt und der Öffentlichkeit mit Abwertung oder Missachtung bestraft wurden. In einer Zeit der Vorherrschaft abstrakter Kunst galt das figürliche Arbeiten einiger Malerpoeten als unmodern. Gleichzeitig wurde eine ihrer herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten, Friedrich Schröder-Sonnenstern, von engstirnigen Ignoranten als „Arschmaler mit Sonnenstich“ verunglimpft, zu einer Zeit, da er im Ausland als einer der größten Künstler der deutschen Nachkriegszeit gefeiert wurde. Immer wieder wurden seine Bilder als pornographisch bezeichnet. Beim „großen Krach“ einer Ausstellung im Rathaus Kreuzberg 1960 wurden seine Bilder zensiert und abgehängt. Die schon damals freundschaftlich verbundenen, mitausstellenden Künstlerkollegen Fuchs, Schnell, Mühlenhaupt und andere zogen aus Protest auch ihre Bilder aus dem Rathaus ab.
Trotz ausgeprägter Individualität und Unabhängigkeit entwickelten und bezogen sich einige Protagonisten der Berliner Malerpoeten wie z.B. Schnell, Fuchs, Märchen und Mühlenhaupt ab den 70er Jahren künstlerisch in ihren Arbeiten unter dem Einfluss der Gruppe auch aufeinander. Auch deshalb sind die Berliner Malerpoeten als Gruppierung für die Entwicklung von Kunst und Kultur in der West-Berliner Nachkriegszeit bedeutsam und dürfen nicht in Vergessenheit geraten, betont Jochen Fey, Kurator der aktuellen Ausstellung.
Der Ausstellungskurator Jochen Fey
Seit der Vorbereitung zur 10jährigen Jubiläumsausstellung der Berliner Malerpoeten 1982, begleitet Fey die Berliner Malerpoeten und fördert sie – als Sammler, Galerist, Kunsthändler und Kurator. Bereits in den 60er Jahren lernt er einige von ihnen persönlich kennen, allen voran Friedrich Schröder-Sonnenstern. Damals ist Jochen Fey Mitarbeiter des Galeristen Springer, der als Entdecker Schröder-Sonnensterns gilt. Fey organisiert Ausstellungen und Kataloge für den Künstler und schreibt den ersten Text zu seiner Arbeitsweise.
Dank langjähriger Kontakte gelang es der Browse Gallery jetzt den Kunst-Koch, Kenner und Freund der Berliner Malerpoeten als Kurator für die Jubiläumsausstellung zu gewinnen. Fey organisierte auch den Ausstellungsort auf der Fasanenstraße. Großzügig stellt das Auktionshaus Nosbüsch & Stucke Räume für die Ausstellung bereit – in Nachbarschaft zur Galerie Springer. Damit schließt sich ein Kreis und die Berliner Malerpoeten erhalten an dem illustren Standort hoffentlich die Aufmerksamkeit der Kunstwelt und der Öffentlichkeit, die sie verdienen.